
28. Juni 22 -
Mi.
29. Juni 22
Ort
Freie Universität Berlin
Raum: JK 33/122
Habelschwerdter Allee 45
14195 Berlin
Psychotechnologien. Erkundungen im Zwischenraum von Kulturtechnik und Algorithmik
Das Verhältnis von Technik und Psyche ist ein skandalöses. Wir sind gewohnt, das Psychische als etwas Subjektives, Authentisches, also tatsächlich von unserem Inneren Herrührendes zu denken. Dem steht allerdings die technologische Prätention gegenüber, dieses Subjektive von außen erkennen, erwecken, manipulieren oder modulieren zu können. Enorme Summen fließen in die Erforschung etwa der digitalen Emotionserkennung über die Analyse von Mimik, Stimme, Gang und anderer (angeblicher) Indikatoren. Auch das Gedankenlesen soll dank neurotechnologischer Erfindung bald realisierbar sein.
Dass das Technische im weitesten Sinn auf psychische Phänomene wie etwa Gefühle, Gedanken, Imagination und Motivation gezielt einwirkt, ist allerdings kein neues Phänomen. Das praktische Wissen (techné im altgriechischen Sinn), wie man bestimmte psychische Effekte herstellt, gehört seit der Antike zum Kernbestand unterschiedlicher Disziplinen wie der Rhetorik, der Poetik und Musiktheorie, der Medizin und der Diätetik, der Ethik, der Lebenskunst und nicht zuletzt der Politik.
Gegenwärtig lässt sich eine Zuspitzung technischer und technologischer Möglichkeiten zur psychischen Einflussnahme beobachten, die auf der Ebene der Diskursivierung noch keine Entsprechung findet. In Zeiten, in denen Phänomene wie „Artificial Emotional Intelligence“ und „Affective Computing“ zur Erkennung und Simulierung von Affekten und Emotionen durch Roboter und Computer im Umgang mit Menschen zu exponentiell wachsenden Forschungsfeldern gehören und in denen offen über die Möglichkeiten diskutiert wird, wie sich mit Hilfe von digitalen Medientechnologien politische Stimmungen beeinflussen lassen, erscheint uns eine vertiefte Auseinandersetzung mit den verschiedenen Funktionsweisen und Möglichkeiten kultureller Affektzirkulation wichtiger denn je.
Mit „Psychotechnologie“ wollen wir das gesamte Spektrum dieser Beeinflussungstechniken auf den Begriff bringen. Wir greifen damit das liegen gelassene semantische Potenzial des älteren Begriffs „Psychotechnik“ wieder auf – mit seinen tiefgreifenden Ambivalenzen. Denn die Psychotechnik war einerseits ein affirmatives Projekt angewandter Psychologie in den 1920er und 1930er Jahren; sie wurde andererseits in der Nachkriegszeit zum Inbegriff von Propaganda und unerlaubter Einflussnahme. Erst seit den 1980er Jahren ist es fallweise wieder zu einer Neubelegung der Semantik des Psychotechnischen gekommen: in der Literaturwissenschaft (Friedrich Kittler), der Medientheorie (Ute Holl, Stefan Rieger) sowie der Technikphilosophie (Bernard Stiegler). Die Verschiebung von Psychotechnik zur Psychotechnologie berücksichtigt zudem die Automatisierung und Computerisierung affektiver, attentionaler und kognitiver Prozesse.
Ziel des Workshops ist einerseits die begriffliche Klärung der Rede von den Psychotechniken und -technologien sowie die Fruchtbarmachung des aus unserer Sicht unausgeloteten semantischen Potenzials. Dafür werden am ersten Tag des Workshops „Werkstattgespräche“ unter Beteiligung studentischen Publikums geführt; am zweiten Tag folgen interne Diskussionen, in denen es auch um die Planung einer gemeinsamen Publikation gehen soll.
Programm
28.6.2022 Werkstattgespräche
09:00 Uhr Julia Weber & Bernd Bösel: Begrüßung und Einführung
09:30 Uhr Jeannie Moser: Kluger Umgang mit Leidenschaften. Macchiavelli und Gracián
10:15 Uhr Pause
10:45 Uhr Martina Bengert: Präsenz erfahrbar machen. Zum Kenotischen bei Marina Abramović
11:30 Uhr André Otto: Sprünge auf dem disc-horse. Psychotechnologie und textuelle Pragmatik
12:15 Uhr Mittagessen
13:15 Uhr Bernd Bösel: Die Technizität des Psychischen
14:00 Uhr Jule Govrin: Authentizitätsbegehren und autoritäre Affektökonomien.
Digitale Dynamiken zwischen Differenz und Ressentiment
14:45 Uhr Pause
15:00 Uhr Benjamin Nickl & Christopher J. Müller: Canned Laughter: Die Technologisierung des Humors
ab 16 Uhr gemeinsamer Ausklang in der Alten Luise
Ein gemeinsamer Workshop des Brandenburgischen Zentrums für Medienwissenschaften (ZeM) und der Einstein Stiftung Berlin.
Organisation: Bernd Bösel (Universität Potsdam, ZeM) und Julia Weber (Peter Szondi-Institut der FU Berlin).