
20. Januar 17
Ort
ZeM – Brandenburgisches Zentrum für Medienwissenschaften
Friedrich-Ebert-Straße 4
14467 Potsdam
Forschungs- und Doktorandenkolloqium
Das medienwissenschaftliche Forschungskolloquium bietet DoktorandInnen und Post-Docs die Möglichkeit, ihre aktuellen Promotions- und Forschungsprojekte zu präsentieren und im kollegialen Rahmen zu diskutieren.
LEITUNG
Prof. Dr. Chris Wahl, Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF
Prof. Dr. Christer Petersen, Brandenburgische Technische Universität Cottbus – Senftenberg
KOORDINATION
Stefan Maciolek, ZeM
Das Reichsfilmarchiv (1934-1945) und seine Bestände im Kontext der Herausbildung einer audiovisuellen Erinnerungskultur
Alexander Zöller
Das Reichsfilmarchiv (1934-1945) hatte bis zur deutschen Kapitulation im Mai 1945 Bestand. Zunächst als Filmsammlung konzipiert, professionialisierte sich seine Arbeit zusehends, wobei bis heute aktuelle Aspekte der Filmarchivierung – etwa das Konzept einer Pflichtabgabe – umgesetzt wurden. 1939 dem Propagandaministerium unterstellt, wurde das Archiv verstärkt in die nationalsozialistische Kulturpolitik eingebunden. Seine Bestände dienten als Inspirationsgrundlage für Filmschaffende, die dabei auch in Deutschland nicht öffentlich zugelassene Filme sehen konnten. Nicht zuletzt durch die Plünderung von Filmen in den von Deutschland besetzten Gebieten wuchsen die Bestände während des Zweiten Weltkriegs sprunghaft an. Das Dissertationsvorhaben untersucht die Geschichte dieses Medienarchivs im internationalen Kontext der staatlich organisierten Filmarchivierung, das Schicksal seiner als Kriegsbeute bis heute nicht vollständig restituierten Bestände und die Rolle dieser film ischen Überlieferung für die heutige Erinnerungskultur.
Katastrophenmodelle. Verortung des Maßlosen
Florian Goldmann
Der Begriff Katastrophe (Umkehrung/Wendung) meint ein plötzliches (unmittelbares) Ereignis der Zerstörung, eine Inversion des Status Quo mit weder zu bewältigendem noch vorstellbarem Schadensausmaß, von dem der Mensch – direkt oder indirekt – jedoch grundsätzlich betroffen ist. Ausgehend von der Dimension des Katastrophenereignisses werden bestehende Normen der Wahrnehmung und Darstellung aufgehoben und neue Maßstäbe gesetzt. Ein Modell (Diminutiv von Maß) ermöglicht durch Analogiebildung und Idealisierung, Reduktion und Vereinfachung die Darstellung und Vermittlung komplexer Sachverhalte.
Ein Katastrophenereignis mit einem Modell zu repräsentieren (zu rekonstruieren oder zu prognostizieren) heißt dem Ereignis entgegen seiner Maßlosigkeit ein Maß zuzuschreiben. Durch die Zuordnung von Koordinaten und quantitativen Werten wird es lokalisiert, eingegrenzt und (be-)greifbar gemacht. Katastrophenmodelle sind Rekonstruktionen vergangener, Erläuterungen gegenwärtiger sowie Vorhersagen zukünftiger Ereignisse. Das künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsvorhaben soll anhand von Beispielen aus
einer über die letzten Jahre entstandenen audiovisuellen Materialsammlung hergeleitet werden. Die Sammlung spannt einen Bogen von physischen Modellen aus dem musealen Kontext über Simulationen zur praktischen Vorbereitung der Bevölkerung auf den
potentiellen Katastrophenfall zu Versicherungstechniken wie datenbasierten Prognosemodellen oder alternativem Risikotransfer (ART). Die Sichtung des Materials verdeutlicht eine der grundlegenden Eigenschaften von Modellen: Erst im Gebrauch, in ihrer Animation sind sie funktionsfähig, erst in der Interaktion vollzieht sich die Maßgabe. Kontextabhängige Gestaltungsentscheidungen, Materialien sowie spezifische Codes der Beispiele sollen, in Bezug auf ihr Vermögen das Unsichtbare, bzw. das Undarstellbare darzustellen und in Anbetracht einer Katastrophe Kontrolle und Sicherheitsgefühl zu vermitteln, diskutiert werden. Darüberhinaus wäre zu erörtern, ob sich ethische Fragen, wie jene zur Dar- und Ausstellbarkeit von Katastrophen im musealen Kontext in abgewandelter Form auch an die Modellierungsverfahren der Versicherungsindustrie richten lassen.
Personen
Prof. Dr. Chris Wahl ist DFG-Heisenberg-Professor für das Audiovisuelle Kulturerbe an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF und stellvertretender Geschäftsführender Direktor des ZeM. Er ist Studiendekan der Medienwissenschaft und leitet den Studiengang „Filmkulturerbe“. In der edition text + kritik gibt er die Schriftenreihe „Film-Erbe“ heraus und gemeinsam mit Jürgen Keiper betreibt er das Blog www.memento-movie.de.
Mehr unter Chris Wahl
Christer Petersen ist seit 2012 Professor für Angewandte Medienwissenschaften an der Brandenburgischen Technischen Universität; war zuvor Juniorprofessor für Angewandte Medienwissenschaften an der BTU, Assistant Professor am Department of German and Slavic Studies der University of Manitoba, Lecturer am Department of Languages, Literatures and Film des University College Dublin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Neuere deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität Kiel; 2002 Promotion im Rahmen eines Stipendiums des Landes Schleswig-Holstein an der CAU Kiel; Forschung auf dem Gebiet der Medialisierungsprozesse in Technik, Politik und Kunst; Buchveröffentlichungen: Der postmoderne Text. Rekonstruktion einer zeitgenössischen Ästhetik (2003), Peter Greenaways Spielfilme (2009), Terror und Propaganda (2016), Begründer und Herausgeber der Reihen Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien (2004, 2006, 2008), Klassiker des osteuropäischen Films (2014ff.) sowie Herausgeberschaften, Aufsätze und Vorträge zu medien- und kulturwissenschaftlichen, filmphilologischen und literaturwissenschaftlichen Themen.
Alexander Zöller, geboren 1979. Studium der Archiv- und Informationswissenschaft an der Fachhochschule Potsdam. Master-Arbeit über einen Sammlungsbestand des ehem. Reichsfilmarchivs. Veröffentlichungen und Tagungsbeiträge zur visuellen deutschen Propaganda im Zweiten Weltkrieg. Zuletzt erschienen: Versprengtes Erbe. Das Reichsfilmarchiv (1934-1945) und seine Hinterlassenschaften. In: Rolf Aurich, Ralf Forster (Hg.): Wie der Film unsterblich wurde. Vorakademische Filmwissenschaft in Deutschland. München 2015, S. 62-71.
Florian Goldmann studierte Bildende Kunst mit den Schwerpunkten Bildhauerei und Neue Medien in Edinburgh, Athen und Berlin. 2012 schloss er sein Studium an der Universität der Künste mit der Veröffentlichung „Flexible Signposts to Coded Territories“ (AKV Berlin/2012) ab, einer Erörterung der Möglichkeit, Fußballfan-Graffiti in Athen als fluides Leitsystem zu nutzen. Von 2014 bis 2016 war er Mitglied des DFG-Graduiertenkolleg ‚Sichtbarkeit und Sichtbarmachung – Hybride Formen des Bildwissens’, seit 2016 ist er Stipendiat des ZeM. Seit 2012 Arbeit mit dem Kollektiv Stratagrids.