21. Mai 24
Ort
ZeM – Brandenburgisches Zentrum für Medienwissenschaften
Hermann-Elflein-Straße 18
14467 Potsdam
Vortragsreihe „Der Interface-Komplex“ mit Dr. Michael Dieter: „Interface critique at large“
Was ist Interface-Kritik?
Dieser Vortrag untersucht die Rolle der Kritik für das Verständnis der weit verbreiteten Integration von Interfaces im Alltag und in materiellen Umwelten, von Apps bis zu Sensoren. Auf der Grundlage von Beiträgen aus den Software-Studien, der Medientheorie und der kritischen HCI schlage ich vor, die Orte derInterface-Kritik zu überdenken, um eine breitere Landschaft kritischer technischer Kulturen in den Blick zu rücken, die wiederum neue Potenziale und Herausforderungen für die Hinterfragung von Herrschaftssystemen offenbart, die darauf ausgelegt sind, unsere Erfahrungen mit ihnen tiefgreifend zu gestalten.
Michael Dieter ist Associate Professor am Centre for Interdisciplinary Methodologies der University of Warwick und promovierte in Kultur und Kommunikation an der University of Melbourne über Medienkunstpraxis und -theorie. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte sind Publikationspraktiken nach der Digitalisierung, Kulturtechniken im Interface- und User-Experience-Design sowie Genealogien der Medien an der Schnittstelle von ästhetischem und politischem Denken.
Das Konzept des „Interface“ wurde ursprünglich in der Physik des späten 19. Jahrhunderts entwickelt – zur Erklärung des Leitens von Energie. Ab Ende der 1950er Jahre setzte sich der Begriff Interface in der Computertechnik für die geregelte Beziehung zwischen Menschen und Computern durch. So, als Schnittstelle, als Mensch-Maschine-Beziehungen, die uns z.B. als Graphical User Interfaces alltäglich begegnen, wird bis heute oft von „dem Interface“ gesprochen. Doch der der Begriff Interface umfasst wesentlich mehr. Interfaces leisten nicht nur Vermittlungen zwischen Computern und Menschen: Vielmehr stiften Interfaces Verbindungen auf allen präsenten und verborgenen Ebenen in, zwischen und zu Computern, die heute für das Funktionieren von digitaler Technologie in ihren diversen Formen, Einbettungen und Vernetzungen nötig sind. Interfaces leisten Vermittlungen für und als Computerarbeit: von Hardware-Hardware-Interfaces für die Kabel des Internets über APIs (Application Programming Interfaces) bis hin zu Sensoren selbstfahrender Autos oder „smarter“ Städte und all jenen Software/Hardware-Konstellationen für Menschen, Input zu geben. Der Begriff Interface adressiert diese diversen Formen von Verbindungen – und hilft dabei gerade deswegen, die Komplexität der digitalen Gegenwart zu befragen, weil auch diese Interface-Formen permanent miteinander verzahnt sind. Sie gehören und wirken zusammen, sind voneinander abhängig und bilden somit einen Interface-Komplex.
Die aktuellen Forschungen zu Interfaces haben im internationalen Umfeld der Medienwissenschaften insbesondere in den letzten zehn Jahren zugenommen und sind entsprechend vielschichtig. Mit der Vortragsreihe „Der Interface-Komplex“ sind Forschende ans ZeM geladen, um Einblicke in jenen Komplex zu gestatten und zur Diskussion zu stellen. Vorgesehen sind:
14.05.2024 Dr. Esther Weltevrede (University of Amsterdam): App Studies and Interfaces
21.05.2024 Dr. Michael Dieter (University of Warwick): Interface critique at large
28.05.2024 Joana Moll (Kunsthochschule für Medien Köln): The Interface Deconstructed & Revisited
04.06.2024 Prof. Dr. Kim Albrecht (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF): APIs als Medium
18.06.2024 Dr. Timo Kaerlein (Ruhr-Universität Bochum): Handhelds und Landhelds – Smartphones im Interfacekomplex
02.07.2024 Dr. Theresa Züger (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft [HIIG]): Interfaces gemeinwohlorientierter KI
Organisation: Prof. Dr. Jan Distelmeyer (Fachhochschule Potsdam/Universität Potsdam)
Die Vortragsreihe „Der Interface-Komplex“ schließt dabei direkt an den ZeM-Jahresschwerpunkt „Verlustkontrolle“ an: Ist doch die Gegenwart digitaler Technologie, die uns als Nutzenden Kontrolle verspricht und ermöglicht, zugleich an den Verlust (bzw. die zunehmende Schwierigkeit) von Ein- und Übersicht gebunden. Einerseits ist mir digitale Technik permanent nah und vertraut wie mein Smartphone als alltäglicher Begleiter und Organisator vieler Bereiche meines Lebens; andererseits sind mir seine Funktionsweise, seine Eigenaktivität jenseits meines direkten Gebrauchs und der laufende Datenaustausch fremd. Angesichts der (versprochenen) Omnipräsenz und Dauerverfügbarkeit internet- und cloudbasierter Dienstleistungen sind die Infrastrukturen, die dies garantieren (sollen), wie z.B. abgeschottete Serverparks, getarnte Sendemasten und unterseeische Internetkabel vergleichsweise unsichtbar. „Das Netz“ ist sowohl da als auch verborgen. Mein Vertrauen auf algorithmische Verfahren diverser Services und Apps, das ich mit meiner Nutzung beweise, steht meinem geringen Wissen über diese Verfahren diametral gegenüber. Während mir klar ist, was ich von digitalen Diensten habe, ist mir unklar, was diese Dienste von mir haben. Gerade die Weiterentwicklung von Verfahren „Künstlicher Intelligenz“ und der gezielt einzusetzenden Produktivität einer sog. „Black Box“ führen dieses spezielle Kontroll-Verlust-Verhältnis vor Augen: Je leistungsstärker digitale Methoden und Dienste werden, über die wir aktiv verfügen, desto expliziter scheint der Verlust von Einsicht zu werden, der hier, so ein nicht geringer Teil des Diskurses, zu akzeptieren ist. „Interface“ kann ein hilfreiches Konzept sein, um dieser (dialektischen) Komplexität des Digitalen – der Gleichzeitigkeit von Präsenz und Verborgenheit, von Wissen und Nicht-Wissen, von Kontrolle und Kontrollverlust – analytisch zu begegnen.
Eine Veranstaltung im Rahmen des ZeM-Jahresschwerpunkts „Verlustkontrolle“.