Wie können digitale Technologien einen Ort, den es nicht mehr gibt, zu neuem Leben erwecken?
Können wir diesen Erfahrungsraum sinnlich erschließen?
Können wir ihn gleichzeitig intellektuell erkunden?
Das wissenschaftlich-künstlerische Forschungsprojekt „Kollisionen“ widmet sich der Frage, wie das gedankliche Universum des russischen Regisseurs und Filmtheoretikers Sergej Eisenstein und seine Lebensräume mit Hilfe von neuen Technologien für Forschung und die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann.
„Ich möchte, dass mein Buch ein Raum wird, in dem sich jedes Element direkt mit einem anderen verbinden kann, sich in ein anderes verwandeln, auf ein anderes verweisen und mit ihm interagieren kann. Eine solche Synchronizität […] ist nur in einem Buch denkbar, das die Form einer […] Kugel hätte!“ (Sergei Eisenstein)
Im Zentrum Moskaus gab es bis vor kurzem einen Ort, der für Filmschaffende und Filmforschende aus der ganzen Welt von größter Bedeutung war: Die Wohnung des russischen Regisseurs Sergej Eisenstein. Eisenstein war nicht nur Regisseur, sondern auch Gelehrter und Universalkünstler. Seine Arbeit und sein Leben spiegeln seinen mutigen Einsatz für Demokratie, Diversität und Gerechtigkeit.
Der Filmhistoriker Naum Kleiman hatte Eisensteins Wohnung über Jahrzehnte zu einem lebendigen Zentrum der Eisenstein-Forschung entwickelt. Die Europäischen Filmakademie erklärte die Wohnung zum Weltkulturerbe. Doch im Zuge der politisch bedingten Demontage des Moskauer Filmmuseums, zu dem das Eisenstein-Kabinett offiziell gehörte, wurde die Wohnung 2018 aufgelöst.
Auf künstlerischer Ebene ist das Projekt inspiriert von Eisensteins Forschergeist, seiner Neugier und seinem Mut zu Experimenten. Es folgt seinen filmischen Arbeiten und vor allem auch seinen einflussreichen Theorien. Mit der „Kollisionsmontage“ hat Eisenstein in den 1920er Jahren mit der Kombination von scheinbar inkompatiblen filmischen Elementen experimentiert. Seine Theorie zum „Sphärischen Buch“ ist eine der frühesten Visionen von hypertextuellen Denk- und Anordnungswelten, wie sie durch das Zusammenführen von VR, InfoVis und 3D-Sound entstehen können.Im Zentrum unserer Forschung steht die These, dass durch die Zusammenführung von VR-Erfahrung, Informationsvisualisierung (InfoVis) und 3D-Sound audiovisuelle Erlebnisräume erweitert werden können: als immersive Welten und wissenschaftlich-analytische Instrumente.
Die Anwendung der Forschungsergebnisse dient der Rekonstruktion des Eisenstein-Kabinetts und soll die geistige Welt Eisensteins als VR-Experience sinnlich erfahrbar machen. Im virtuellen Raum werden Objekte, welche in multimedialer Form Geschichten erzählen, zu Brücken, die in Eisensteins Welt führen. Die „virtuelle Wohnung“, die so entsteht, ist Grundlage für eine internationale, interaktive, sich ständig weiter entwickelnde Web-Plattform: Eisensteins Haus. Alle Bereiche der internationalen Eisenstein-Gemeinschaft werden sich hier vernetzen können: Forschung, Studium, Kunst und interessiertes Laien-Publikum.
Eisensteins Haus ist angelegt als ein lebendiges Forum, um den auch heute noch hochaktuellen geistigen Kosmos Eisensteins zu bewahren, zu erforschen und weiter zu entwickeln.
Hier geht es zur Projektwebsite.
Projektleitung: Tatiana Brandrup (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF), Marian Dörk (Fachhochschule Potsdam)
Für die Entwicklung und Präsentation des Projekts wurde 2018 ein dreitägiger internationaler Workshop mit dem Titel „Sergei Eisenstein and the Play of Objects“ am ZeM durchgeführt und finanziert. Ebenfalls durch das ZeM gefördert wurde die Masterclass Artistic Research GLOBE PLAYHOUSE SPACELAB vom 7. bis 18. September 2020 an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF sowie die Erstellung der (sphärischen) Publikation EXPANDED ANIMATION WORLDS: GLOBE PLAYHOUSE SPACELAB.
Kollisionen ist ein Kooperationsprojekt der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF mit der Fachhochschule Potsdam und wird aus dem StaF-Programm im Fonds für regionale Entwicklung der Europäischen Union (EFRE) gefördert.