Dr. Maike Sarah Reinerth
Die Arbeit untersucht filmische Darstellungen von Imaginationen aus systematischer und historischer Perspektive. Sie konzentriert sich dabei insbesondere auf Erinnerungsflashbacks, die filmästhetisch und -historisch von besonderer Relevanz sind, bezieht aber auch verwandte imaginative Phänomene des Mentalen – wie das Träumen oder Halluzinieren – mit ein. Dabei werden die Darstellungen nicht nur hinsichtlich ihrer audiovisuellen Ästhetik betrachtet, sondern auch mit – teils langfristig konstanten, teils historisch spezifischen und kurzfristig wandelbaren – Vorstellungen über Erinnerung und Imagination zusammengebracht. Diese Vorstellungen – so eine zentrale These – sind grundlegend für die nonverbale Kommunikation über Prozesse des Imaginierens, die ansonsten nur entweder individuell-subjektiv erlebt oder sprachlich-abstrakt beschrieben werden können, weil als intersubjektiv vorliegendes, oft implizites ‚Wissens‘ die stets konkrete und intersubjektiv verständliche filmische Veranschaulichung äußerlich unsichtbarer Bewusstseinsprozesse erst möglich machen.
Meine Arbeit zeigt damit auf, wie wissenschaftliche Spezialdiskurse, alltagstheoretische Annahmen und intersubjektive Aspekte der (Welt- und Selbst-)Erfahrung, ebenso wie z.T. auf biologischen Dispositionen beruhende kognitive Konstanten bei der Produktion, Ästhetik und Rezeption speziell von Imaginationsdarstellungen – aber auch von Filmen im Allgemeinen –zusammenwirken. Anstelle des „Entweder-oders“ rein kulturalistisch oder rein biologistisch argumentierender Ansätze der Film- und Medienwissenschaft demonstriert sie, dass sich zentrale Fragen nach der Ästhetik, nach Produktions- und Verstehensprozessen nur durch ein „Sowohl-als-auch“ hinreichend beantworten lassen. Zudem betrachte ich auch die spezifischen medialen Bedingungen unter denen diese Darstellungen produziert und rezipiert werden. Denn Annahmen und Wissen über imaginative Bewusstseinsprozesse werden durch die medialen Gegeben- und Gepflogenheiten ihrer historisch spezifischen Produktions- und Rezeptionskontexte medial überformt und in konkrete Formen gegossen. Dabei eröffnen technische und mediengeschichtliche Entwicklungen zum Teil überhaupt erst neue Darstellungsweisen, die auch auf außerfilmische Diskurse zurückwirken können, weil sie besonders sinnfällige und publikumswirksame Ausdrucksformen ermöglichen oder dem Nachdenken über Imaginationen innovative Impulse verleihen. Damit ist die Arbeit auch als Geschichte des Erinnerungsflashbacks zu lesen, die ihren Gegenstand jedoch nicht als analytisch isolierbares, rein ästhetisches Stilmittel betrachtet, sondern die Abhängigkeiten seiner ästhetischen Gemachtheit in die medien- und mentalitätsgeschichtliche Untersuchung einbezieht.
Der integrative Ansatz möchte nicht nur zwischen verschiedenen Positionen der Film- und Medienwissenschaft vermitteln und das Potenzial einer komplementären Sichtweise aufzeigen, sondern mit der nur multiperspektivisch zu bewältigenden umfassenden Untersuchung filmischer Imaginationssequenzen auch ein Desiderat der Forschung beseitigen.
Forschungsschwerpunkte
Geschichte, Theorie und Analyse audiovisueller Medien (insbes. Film), Animation Studies, Digitale Medienkultur, Open Media Studies, Politische Animation in digitalen Medien, Subjektivität, Imagination und Erinnerung, Kognitive Film- und Medientheorien, Gender und Diversity, Open Educational Resources
Maike Sarah Reinerth war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Mainz und Hamburg beschäftigt. Sie lehrt und forscht u.a. zur Ästhetik, Theorie und Geschichte des Films, zu kognitiven Medientheorien und im Bereich der Animation Studies. Als Co-Sprecherin der Kommission „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ sowie Co-Koordinatorin der AG Animation ist sie in der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM) aktiv und seit 2015 Mutter eines Sohnes. Aktuelle Publikationen: Subjectivity across Media. Interdisciplinary and Transmedial Approaches (hrsg. mit Jan-Noël Thon, 2017), In Bewegung setzen … Beiträge zur deutschsprachigen Animationsforschung (hrsg. mit Franziska Bruckner, Erwin Feyersinger und Markus Kuhn, 2017), „Metaphors of the Mind in Film: A Cognitive-Cultural Perspective“ (in: Embodied Metaphors in Film, Television, and Video Games. Cognitive Approaches, hrsg. von Kathrin Fahlenbrach, 2016).
Aufsätze
Reinerth, Sarah Maike: „Entirely (Self-)Made Up! Animierte Imaginationsdarstellungen in Realspielfilmen“. In: Hans-Joachim Backe, Julia Eckel, Erwin Feyersinger, Véronique Sina, Jan-Noël
Thon (Hg.): Ästhetik des Gemachten. Interdisziplinäre Beiträge zur Animations- und Comicforschung, als Gold Open Access bei De Gruyter 2018 (im Erscheinen).
Reinerth, Sarah Maike; Fahlenbeck, Kathrin: „Audiovisual Metaphors and Metonymies of Emotions in Animated Moving Images“. In: Meike Uhrig (Hg.): Animotion. Animating Emotions in the Digital Age, Routledge 2018 (im Erscheinen).
Vorträge
„Voice-over narration and subjectivity in serial television drama. An exploration of narratorial functions, subjective access, and narrative engagement“, Jahrestagung der Society for Cognitive Studies of the Moving Image (SCSMI), University of Helsinki, Finland, 11.–14.06.2017. Mit Sebastian Armbrust.
„Through the Looking-Glass. Filmische Subjektivitätsdarstellungen als Zugänge zu Figuren und mediale Reflektion populärer Subjektivitätsvorstellungen“, Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), Universität Erlangen, 04.-07.10.2017.